Die Lust am Blaumachen

Montags macht die Kleinkunstszene frei - es sei denn, sie tritt bei Arnulf Rating im Tempodrom auf

Von Uwe Sauerwein

Durch diese große Klappe muß er kommen. Ein überdimensionales offenes Mundwerk ziert die Bühne in der kleinen Arena des Tempodrom. Gleich, nach dem Eröffnungsstück der Kapelle, wird Arnulf Rating durch den großen Mund treten und auf einem Sofa Platz nehmen. Das Sofa ist blau, wie der Anzug des Conferenciers. Rating ist Moderator und Gastgeber des "Blauen Montag", dem erfolgreichen Mischprogramm, das vor mehr als zwei Jahren im Gefolge der "Maulhelden", dem Internationalen Festival für Wortkunst, entstand. Die "Maulhelden" existieren momentan lediglich als Organisations-Büro - dem Festival ging mangels öffentlicher Gelder die Puste aus. Aber den "Blauen Montag", den gibt es nach wie vor. Jetzt feiert er die 100. Vorstellung.

Blau machen lohnt sich, zumindest in der Kleinkunstszene. Da dort montags meistens spielfrei ist, bot es sich an, Stars und Nachwuchskünstler aus Kabarett, Comedy, Varieté und Literatur für diesen Tag zu einem Wechselprogramm einzuladen. Die Idee gab es vor vielen Jahren schon einmal, 1990, als der heutige Wintergarten an der Potsdamer Straße noch Quartier Latin hieß und Rating mit seinen legendären Drei Tornados den Ruf des Anarchos genoß.

Während Wintergarten und das Chamäleon auf Varieté setzen, die Schöneberger Scheinbar jungen Leuten eine Chance gibt, Thomas Hermanns Quatsch Comedy Club der Spaßfraktion vorbehalten ist und Lesebühnen wie Dr. Seltsams Frühschoppen literarisch geprägt sind, füllt der "Blaue Montag" eine echte Lücke - und setzt zugleich eine ureigene Berliner Tradition fort, den bunten Abend.

Ein Begriff, der dem Impresario, der die Show immer mit bösartigen Anmerkungen zu Themen des Tages eröffnet, allerdings zu spießig klingt. Er bezeichnet die Revue lieber als "lebende Stadtzeitung".

Deswegen steht jeden Monat ein bestimmter Berliner Bezirk im Mittelpunkt, dessen Flagge zu Beginn gehißt wird. Nicht immer ein einfaches Unterfangen. Der Bezirk Pankow etwa habe sich aus Pietätsgründen zunächst geweigert, die Fahne herauszurücken. Bei Wannsee, dem Bezirk im Juni, war das kein Problem. Von hier kam die bislang mit Abstand größte Flagge. "Man sieht, wer in Berlin gut betucht ist", meint Rating.

Die Eigenheiten und Absonderlichkeiten jedes Kiezes zu beleuchten, dafür ist seit geraumer Zeit extra ein Ethnologe zuständig. Per Diaprojektor erläutert uns Klaus Nothnagel, daß es auch in Wannsee trashig zugehen kann. Die Badehose hat er nicht eingepackt. Dafür sind die fünf Jungs des Pitch Pipe Project zuständig, nach eigenem Bekunden eine Mischung aus Comedian Harmonists und Den Ärzten, die uns den Conny-Froboess-Klassiker a cappella präsentieren.

Schnelle Personalwechsel auf der Bühne lassen auch Pointen, die nicht so zünden, ruck zuck vergessen. Dafür haben es manche Künstler schwer, ihre Bühnenphilosophie in all der Eile zu vermitteln. Die Show von Pigor & Eichhorn etwa lebt vom ständigen Zwist zwischen Sänger und Pianist, was bei einem Kurzauftritt nicht unbedingt rüberkommt. Beide sind absolute Stars, sie treten an den normalen Tagen in der Bar jeder Vernunft auf. Viele Größen der Kleinkunst hat Rating schon präsentieren können, aber: "Ob prominent oder nicht, die Leute kommen wegen des besonderen Charakters der Veranstaltung."

Wie lange er diese noch moderiert, weiß Rating nicht. Immerhin ist er ja selbst ein gefragter Kabarettist. "Eigentlich hatte ich mir höchstens zweieinhalb Jahre vorgenommen." Aber blau machen vom "Blauen Montag", das kommt vorerst nicht in Frage. Schon gar nicht zum Jubiläum. Den 100. "Blauen Montag" zelebrieren unter anderem die Akrobaten von Sleepless Night, die First Ladies mit ihren Ratschlägen zur Familienplanung, Starspötter Wiglaf Droste und Ethno-Komiker Murat Topal. Zur Feier des Tages gibt es Karten zum Sonderpreis von acht Euro für die Vorstellungen am 13., 20. und 27. Juni.

Als besonderes Bonbon, ausnahmsweise sonntags, sprechen Rating, Gabi Decker, Chin Meyer, Hagen Rether und Michael Ehnert, dazu noch "live eingespielt" Volker Pispers und Reiner Kröhnert, ein "Machtwort". Die gleichnamige Show am 19. Juni soll aufgezeichnet und dem Fernsehen angeboten werden: "Damit Sabine Christiansen nicht die einzige öffentlich-rechtliche Kabarett-Sendung bleibt."

© Berliner Morgenpost, 12.06.2005