Rechtzeitig vor Angie am Kanzleramt

Kabarett

Das Berliner Publikum ist bekannt dafür, Veränderungen erst einmal höchst zahlreich und mit größtmöglicher Skepsis zu bestaunen, bevor es meckert oder gar lobt. Nun war der Ortswechsel für den "Blauen Montag" bekanntlich nicht ganz freiwillig, schließlich mußte das alte Domizil Tempodrom wegen Insolvenz schließen. Doch Moderator Arnulf Rating begrüßte die Zuschauer zur ersten Ausgabe des "lebenden Stadtmagazins" im Tipi so launig wie immer und schlug aus der schwergewichtigen politischen Nachbarschaft des neuen Kleinkunstrevue-Heims selbstredend noch humoristisches Kapital: "Freuen wir uns, daß wir noch vor Angela Merkel dem Kanzleramt so nahe gekommen sind!"

Das Konzept hat sich nicht geändert. Es variiert auch weiterhin wöchentlich in den vorgegebenen Parametern. Mit einer Hauskapelle des Monats, im September ist es Freddy Fischer's Cosmic Rocktime Band, und einem Bezirk. Eigentlich sollte ja Marzahn gekürt werden, aber man hat sich dann aus naheliegenden Gründen auf Tiergarten geeinigt. Das rituelle Absingen der Bezirkshymne durfte diesmal die schlagerverliebte, neunköpfige Liedertafel Bianca Castafiore übernehmen, während Hausherr Rating dazu die passende Flagge hißte. Es folgten wie üblich im Sechs-Minuten-Takt bekannte Kabarettisten wie Dr. Eckard von Hirschhausen oder Spaß-Musikanten wie Evi und das Tier und weniger bekannte Nachwuchskomödianten, Markus Tschirpke etwa, der Meister der gesungenen Miniatur, oder Lokalmatador Rolf Kuhl.

Entdeckung des Abends war die Comedy Company, die auf Zuruf eine Horror-Oper mit zwei nackten Fensterputzern kreierte. Ohne sich zu entblättern, aber zum Kringeln komisch. Da es an den einzelnen Nummern nichts zu mäkeln gab, wurde das neue Drumherum von treuen Blaumachern um so heftiger diskutiert: Man hat einen kuscheligen Hexenkessel mit erstklassigen Gelegenheiten zu intensiver Tuchfühlung eingetauscht gegen die Möglichkeit zu Rauchen, zum Vernichten hochgeistiger Getränke und zum enervierenden Chipsknabbern. Hitziger Rock 'n' Roll gegen gepflegte Restauration an kleinen Tischchen. Geschmackssache, welche Atmosphäre man lieber mag. Das Ergebnis: "Der Blaue Montag" wird wohl nie wieder so sein, wie er war. Aber im Tipi ist es auch okay!

boro

© Berliner Morgenpost, 08.09.2005