Anfänger und Selbstmörder

Der Blaue Montag im Berliner Tempodrom ist immer auch eine kleine Entdeckungsreise. Und obwohl seit einer Woche offiziell in der Sommerpause, verbreiten die Macher des Wundertütenprogramms mit einem Spezial am Mittwoch und einer Verpflichtung des Düsseldorfer Kommödchens auch im Juli gute Laune.

Die eine behauptet, sie schrubbe ihre Firma mit einer Zahnbürste sauber. Der andere kocht, statt an seinem stressigen 16 Stunden Tag mal durchzuschnaufen, für seine Mitarbeiter zwischendurch auch noch á la Card. Und der Dritte sei so runtergekommen, dass er sich des Nächtens mit den Kollegen vom BDI fast um einen Schlafplatz auf dem blanken, kalten Asphalt prügeln muss. Kurzum: den Wirtschaftsbossen in Deutschland gehe es unsagbar schlecht. Und so beschließt ein Unternehmensberater, sich das Leben zu nehmen. Auf einer Rheinbrücke steht er nicht alleine. Eine Lehrerin und ein Finanzbeamter etwa wollen auch, wie hierzulande jährlich 11.000 andere Menschen, Suizid begehen.

„kopfüber – Bunter Abend für Selbstmörder“ heißt das neue Stück der Kabarettgruppe „Düsseldorfer Kom(m)ödchen“. Präsentiert wird es in Berlin vom Maulheldenteam, quasi als Ersatz dafür, dass deren eigenes famoses Unterhaltungsprogramm, die längst nicht mehr nur Geheimtippstatus besitzende

Wundertüte „Blauer Montag“ im Tempodrom vergangene Woche in die wohlverdiente Sommerpause ging und bis auf eine Ausnahme erst wieder am 6. September für Stimmung sorgen wird. Wenngleich die vergangenen "Blauen Montag" präsentierten kurzen Ausschnitte aus der Show der Rheinländer nicht jedermanns Geschmack trafen, weil die Rap-Einlagen etwas bemüht und aktuelle Kanzlertexte aus dem Mund eines Honeckerdoubles etwas deplatziert erscheinen konnten - blieb einmal mehr kein Zuschauer in der kleinen Arena des teuren Stahlzelts am Anhalter Bahnhof traurig.

Denn das Gesamtkonzept "Entdeckungstour", das sich seit zwei Jahren inhaltlich aufs Beste bewährt, ist ja gerade eine abwechslungsreiche Nummernrevue-Mischung aus Artistik, Musik, Kabarett, Comedy, Lyrik und Prosa. Beim Reinschnuppern in aktuelle Berlingastspiele lässt sich ideal auswählen, welches Kleinkunstprogramm in nächster Zeit als Ganzes zu sehen lohnt. Ganz nebenbei erfährt man im monatlichen Wechsel immer auch etwas über Berlins arme und noch ärmere Stadtteile: Letzten Montag etwa durch Bewegungskünstler Ulli Lohr, der mit einer zu Elvis Presley-Klängen getexteten Hymne über Buletten, Broiler und Schultheiß den aktuellen "Bezirk des Monats" Treptow auf unnachahmlich sympathische Weise huldigte, was die Zuschauer angesichts seines etwas korpulenten Aussehens vorher nicht für möglich gehalten hätten. Und bei einem Auftritt sind die Besucher der Blauen Montage, stets besonders gut aufgehoben. Conferencier Arnulf Rating kommentiert nämlich Woche für Woche anhand von Aufmachern der BILD bissig das aktuelle Zeitgeschehen und führt Deutschlands vermeintliches neue Leitmedium dabei herrlich ad absurdum. Wenn er nicht gerade selber spottet oder bundesweit bekannten Künstlern sowie internationalen Wortakrobaten, die nur für seinen Montag nach Berlin eingeflogen werden, eine Bühne gibt, stellt der Mitbegründer der legendären "Drei Tornados" hoffnungsvolle Kieztalente ins Rampenlicht. So durften letzte Woche auch Teilnehmer eines von der Universität der Künste und Sat.1 veranstalteten Sketch-Comedy-Autoren-Seminars, Kostproben geben.

Noch versemmelten diese jungen Berliner - anders als der bewusst tollpatschige und urkomische Clown Hacki Ginda und andere, erfahrenere Künstler des Abends aus Nah und Fern - zwar manche Pointe. Doch am kommenden Mittwoch, an dem außer der Reihe ein „Blauer Montag Spezial“ auf dem Programm steht, haben sie eine zweite Chance. Und damit etwaige weitere Ausrutscher dem Zuschauer wieder nicht die Laune verhageln, hat Rating auch die Macher des feinen Weddinger Prime Time Theaters und Altmeister Richard Rogler eingeladen.

Oliver Renn

© Kulturküche, 05.07.2004