Kuriose Kleinkunst und knalliges Kabarett am Kanzler(in)amt

Vom Tempodrom ins Tipi: Holger Klotzbach gewährt Arnulf Rating und seinem "Blauen Montag" neues Obdach

Es drohte die Obdachlosigkeit. Nicht, daß der Vermieter Arnulf Rating aus der Wohnung geworfen hätte. Jedoch sein bunter Kabarett-Abend "Der Blaue Montag" durfte im Zuge der Insolvenz nicht mehr im Tempodrom stattfinden.

Doch wozu hat man schließlich gute Freunde? In seiner Raumnot rief er seinen alten Bühnenkollegen Holger Klotzbach an, der zusammen mit Günter Thews und ihm in den siebziger Jahren als "Die drei Tornados" auf Berlins Bühnen stand. Klotzbach ist inzwischen Kulturimpresario, betreibt die Bar jeder Vernunft und auch das Tipi neben dem Kanzleramt.

Der Montag war im Tipi bisher spielfrei - nun ist er blau. Rating ist begeistert vom neuen Ort. "Es ist sehr gemütlich eingerichtet mit seinen Tischen, das ist gut für die Zuschauer. Und wir sind näher dran an der Politik, direkt am Kanzlerinamt", sagt Rating.

Das einzige, was Rating bedauert, ist, daß "Darbietungen mit Feuer" nun nicht mehr erlaubt seien. Die Feuerwehr hat dem Tipi strenge Sicherheitsauflagen erteilt.

Seit mehr als zweieinhalb Jahren organisiert der Kabarettist Rating als eine Art Pate der Kleinkunstszene Woche für Woche das Zusammentreffen von Künstlern der unterschiedlichsten Gattungen. Von Kabarett über Comedy, Musik, Kolumne, Lyrik bis hin zu Artistik. "Berlin ist ein Querschnitt der Verrückten. Ein Quellort für diese Form der Crossover-Kultur", sagt Rating. Sein Konzept beschreibt er mit "eine lebende Stadtzeitung" auf die Bühne zu bringen. Er will Werbung machen für seine Wahlheimat, die "bekloppteste und wildeste Stadt Deutschlands", das "Biotop der Querschläger und Danebenlieger".

Mehr als 100 Mal hat "Der Blaue Montag" schon stattgefunden. Inzwischen richtet Rating sein ganzes restliches Leben danach aus.

Auf Tournee geht er nur noch von Mittwoch bis Samstag. Im Moment steckt "Der Blaue Montag" allerdings noch in der Sommerpause. Rating nutzt die Zeit, um an seinem neuen Programm zu schreiben. Er hat sich in Hamburg versteckt, die Verbindung zu Familie und Freunden gekappt, um dort mit seinem Regisseur an Pointen zu arbeiten. Pointen, zu denen ihn die Wirklichkeit wie z.B. auch die Tempodrom-Affäre inspiriert.

"Nie gab es Subventionen. Und wenn man den Anteil der Baukosten rechnet, sind es immer noch weniger als die drei Opern in fünf Monaten bekommen", rechnet er auf. "In der Öffentlichkeit wird immer so getan, als habe das Tempodrom die Schuld an der gesamten Berliner Verschuldung", sagt Rating. "Aber was ist zum Beispiel mit der Topographie des Terrors - für Millionen wurden da zwei Treppenhäuser am Ende gebaut, die nun abgerissen wurden."

Das Tempodrom sei ein wichtiger Standort für Berlin. "Touristen kommen wegen der Kultur, nicht weil Berlin mal eine wirtschaftlich wichtige Stadt war und es sowieso nie wieder wird", findet Rating.

Für Arnulf Rating ist die Kappung jeglicher Unterstützung "ein parteipolitisches Ding, die Rache der CDU an der SPD".

25 Jahre lang hat das Tempodrom gut funktioniert. Dann mußte es dem Kanzlergarten weichen. Aus dem Zirkuszelt wurde ein zu teurer Stahlbetonbau in Zeltform. Rating bemüht sich um Gelassenheit angesichts dieses vermeidbaren Scheiterns. "Manchmal stehen die fliegenden Bauten stabiler als die festen", sagt er und kann den bitteren Unterton nicht verstecken. Fröhlich wird er erst, wenn er ans Tipi am "Kanzlerinamt" denkt.

Doch wird CDU-Kandidatin Angela Merkel im September wirklich erste deutsche Kanzlerin? Rating: "Ich bin kein Prophet und Kaffeesatzleser. Wahlen hängen in Deutschland ja oft vom Wasserstand der Elbe ab. Da kann noch viel passieren."

Dirk Krampitz

© Welt am Sonntag, 04.09.2005